Gryka

Ich wurde im Juli 2016 durch einen Facebook-Post auf Gryka aufmerksam. An einem Abend im Juli 2016 saß ich in Cebu, Philippinen, vor meinem Computer, schrieb auf Facebook mit weit entfernten Freunden und Familienmitgliedern, klickte mich durch Fotos und unterschiedliche Beiträge. So stieß ich auf das Foto eines Mädchens, das an einem Tumor erkrankt war. Dieser befand sich an seinem Hals und war unglaublich groß. Das Mädchen, das zudem ein Auge verloren zu haben schien, blickte mit schmerzverzerrtem, tränennassem Gesicht in die Kamera. Erst glaubte ich, das Bild sei gefälscht, da ich noch nie etwas Derartiges gesehen hatte. Dennoch ging es mir tagelang nicht aus dem Kopf – und schließlich kontaktierte ich die Frau, die das Foto ins Netz gestellt hatte. Dabei handelte es sich um eine Bekannte der Mutter, deren Tochter auf dem Bild zu sehen war. Die Frau stellte den Kontakt zu Grykas Mutter her. Vorsichtig fragte ich sie, ob ich die Kleine besuchen könne. Ich hatte sofort das Gefühl, helfen zu müssen, doch wenn ich ehrlich bin, wollte ich mir erst einmal selbst ein Bild von der Situation machen. Die Mutter willigte ein – und so lernte ich Gryka kennen.

Ich war schockiert, als ich sie das erste Mal sah. Ich hatte wohl insgeheim doch gehofft, dass der Tumor auf dem Foto größer ausgesehen hatte, doch in Wirklichkeit war es noch viel schlimmer. Grykas Mutter erzählte mir schließlich ihre Geschichte. Die Familie hat insgesamt fünf Kinder und lebt in einem sehr kleinen Haus am Strandrand von Cebu City, der Hauptstadt der Insel Cebu.

Schon vor zwei Jahren erkrankte Gryka das erst Mal an Krebs, der ihr Auge befiel. Um die Behandlung im Krankenhaus bezahlen zu können, verkauften ihre Eltern ein kleines Grundstück, das sie besaßen, und liehen sich Geld bei Nachbarn. Im Krankenhaus wurde das linke Auge komplett entfernt. Doch kurz darauf schwoll Grykas Hals an – dort begann ein neuer Tumor zu wuchern. Nun hatten die Eltern jedoch keinerlei Rücklagen mehr und so wuchs der Tumor unaufhörlich weiter.

Ich konnte nicht glauben, dass Grykas Eltern ihrer Tochter hilflos beim Sterben zusehen mussten. In Deutschland wäre so etwas undenkbar – auf den Philippinnen können sich finanziell schwache Menschen jedoch nicht einmal einen normalen Arztbesuch leisten, geschweige denn eine kostspielige Behandlung; das Geld muss auch bei Notfällen sofort bar auf den Tisch gelegt werden. Es gibt keine Krankenkassen, die erst im Nachhinein einspringen. Für Bedürftige, die an Krebs erkranken, bedeutet das normalerweise den sicheren Tod. Ich wusste nur eines: Ich musste helfen. Da der Neustart in Cebu, wo ich seit ein paar Monaten lebte, all meine Ersparnisse aufgebraucht hatte, konnte ich selbst nur wenig Geld aufbringen. Doch ich hatte die Hoffnung, dass meine Freunde etwas erübrigen würden. Kurz entschlossen versprach ich Grykas Mutter, mein Möglichstes zu tun und ihre Tochter noch in derselben Woche ins Krankenhaus zu bringen.

Auch ich veröffentlichte Grykas Foto auf Facebook, schrieb dazu, dass ich mich selbst vom Ernst der Lage überzeugt hatte. Viele meiner Freunde meldeten sich sofort, auch die Mitglieder der Gruppe „Cebu Foreigners Club“, wo ich den Beitrag ebenfalls veröffentlicht hatte. Tatsächlich kamen schnell so viele Spenden zusammen, dass ich Gryka wenige Tage später ins Krankenhaus bringen konnte. Dort wurde sie untersucht und sollte am nächsten Tag stationär aufgenommen werden. Noch in der Nacht rief mich jedoch Grykas Mutter an: der Tumor höre nicht mehr auf zu bluten. Wir fuhren sofort in die Notaufnahme, Gryka wurde stationär aufgenommen. Die Ärzte überlegten lange, wie sie vorgehen sollten, da der Tumor nah an der Halsschlagader lag und ein Eingriff damit sehr gefährlich war. Doch zwei Wochen später entschlossen sie sich zu einer Operation – das war die einzige Möglichkeit, um Gryka zu retten. Es war eine sehr komplizierte OP, doch letztlich konnten die Ärzte den Tumor komplett entfernen – ein erster Erfolg. Damit die Wunde nach der Operation geschlossen werden konnte, benötigte Gryka zusätzlich eine Hauttransplantation. Ich werde es nie vergessen, als sie zum ersten Mal an ihren Hals berührte und realisierte, dass der riesige Tumor, der sie so lange behindert hatte, fort war. Doch obwohl Gryka alles einigermaßen gut überstanden hatte, war sie doch sehr geschwächt und erschöpft. Leider war ihr Zuhause nicht der richtige Ort, um sich zu erholen. Glücklicherweise hatte erst kurz zuvor das “Everlasting Hope” eröffnet, ein spendenfinanzierte Einrichtung für an Krebs erkrankte Kinder, das kleinen Patienten und ihren Eltern eine kostenlose Unterkunft bietet. Sie hatte das Glück, dort sofort einen Platz zu erhalten; seitdem lebt sie mit anderen Krebspatienten und ihren Eltern im Everlasting Hope und fühlt dort sehr wohl.

​Nach der Operation wurde der Tumor mehrmals untersucht, doch erst einmal konnte nicht festgestellt werden, um welche Tumorart es sich handelt. Die Ärzte gingen von Neuroplastoma oder Rhabdomyosarcoma aus. Gryka erhielt eine strapazierende, jedoch notwendige Chemotherapie. Als ich im Oktober nach Deutschland reiste, ließ ich in einem Labor Teile des Tumors testen. Hier konnte festgestellt werden, dass es sich tatsächlich um eine Metastase des Retinoblastomas handelte, an welchem sie drei Jahre zuvor am Auge erkrankt war. Dies ist sehr ungewöhnlich, da die Metastase unter diesen Umständen normalerweise im anderen Auge entstanden wäre; dass sich diese am Hals entwickelt, ist eigentlich so gut wie ausgeschlossen. Seit dieser Diagnose im November 2016 wird Gryka mit Chemotherapie auf Retinoblastoma behandelt, seit Januar erhält sie zusätzlich Bestrahlung. Die Kosten der Chemotherapie sind hoch: Für jeden Zyklus werden Medikamente im Wert von ca. 400 Euro benötigt, jede Bestrahlung kostet ca. 1000 Euro. Hinzu kommen jedes Mal Arztkosten von ca. 500 Euro. Bis jetzt ist es uns mithilfe von Spenden gelungen, die Beträge rechtzeitig aufzubringen – doch jedes Mal nur sehr knapp. Viele Spenden habe ich von Facebook-Freunden erhalten sowie dem Cebu Foreigners Club und diversen Organisationen. Ebenso berichtete die Geislinger Zeitung vor wenigen Monaten von Grykas Schicksal, wodurch weitere Beträge zusammenkamen.

Mittlerweile ist die Behandlung von Gryka abgeschlossen und leider war dies nicht erfolgreich wie erhofft. Der Tumor kam trotz abgeschlossener Chemo- und Strahlentherapie wieder zurück.

​Anfang Juni sind wir auf Anraten der Ärzte hier in Cebu nach Manila geflogen um dort eventuell eine weitere Möglichkeit zu finden Gryka zu behandeln. Dies war jedoch nicht erfolgreich. Gryka befand sich bis August 2017 in Manila und wurde dort zwar weiter untersucht und behandelt, aber es ging nunmehr darum ihr ein angenehmes, schmerzfreies Leben zu geben.

​Am 02. Oktober 2017 schlief Gryka friedlich in Anwesenheit ihrer Familie bei sich Zuhause ein.

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